Wednesday, May 03, 2006

Jenseits von gut und böse

Der unheimliche Erfolg von Google

Google ist der Liebling von Surfern und Anlegern. Innerhalb von nur acht Jahren wuchs das Suchmaschinen-Unternehmen vom Start-up zweier Studenten zum milliardenschweren Global Player. Doch in der letzten Zeit hat das strahlende Image einige kräftige Kratzer erhalten.

Google ist Pop. Die Website des Googlestores hält Fan-Artikel von Bikerhosen bis Babyshirts bereit, im Internet kursiert eine gesungene Liebeserklärung (zur Melodie von „My Girl“) und in Schweden wird der Name der Suchmaschine mindestens einen Menschen sein Leben lang begleiten: Der Software-Entwickler Elias Kai hat seinen im September geborenen Sohn Oliver Google genannt.

Jeder der rund 6000 Google-Mitarbeiter erwirtschaftete im letzten Jahr einen Umsatz von etwa einer Million Dollar. Das brachte Google einen Gewinn von 1,5 Milliarden Dollar ein. Mit circa 100 Milliarden Dollar hat sich Googles Wert an der Börse innerhalb der letzten sechs Monate glatt verdoppelt. Auf Basis des aktuellen Wertpapierkurses ist Google sogar teurer als Daimler-Chrysler und die Deutsche Bank zusammen. Das Bizarre daran: Bei der Produktion von Autos oder dem Bankgeschäft handelt es sich um erprobte Geschäftsmodelle.

Googles Methode der Einnahmengenerierung ist dagegen erst wenige Jahre alt - und wurde aus der Not heraus geboren. Noch im Sommer 1999 fragte ein Journalist John Doerr, Google-Investor und Vorstandsmitglied, womit das junge Unternehmen denn seine Einnahmen erzielen wolle. Doerr verwies auf die vier Millionen Seitenaufrufe, die Google damals täglich zählte und antwortete: „Wir werden noch herausfinden, wie man damit Geld machen kann.“

Eine klare Geschäftsstrategie hört sich anders an und tatsächlich wurschtelte das junge Unternehmen damals recht planlos vor sich hin. Die Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten bereits erfolglos versucht, einen Käufer oder Lizenznehmer für ihre Suchtechnologie zu finden. Knapp 40 Mitarbeiter arbeiteten zu diesem Zeitpunkt für Google. 500 000 Dollar verschlang der Betrieb jeden Monat, und mit gerade einmal 20 Millionen Dollar Risikokapital auf dem Konto war es allerhöchste Zeit, ans Geldverdienen zu denken.

Geklautes Geschäftsmodell

Page und Brin benötigten dringend ein funktionierendes Geschäftsmodell, also borgten sie sich das des Konkurrenten GoTo.com aus. Die später in Overture umbenannte Suchmaschine besaß bereits ein Selbstbedienungs-Interface, in das man seinen Anzeigentext eintippen konnte und das ein Auktionssystem für Keywords enthielt. Im Unterschied zu dem unfreiwilligen Ideenlieferanten verfügte Google bereits über die notwendige kritische Nutzermasse. Der Selbstbedienungsladen für Inserate wurde schnell ein Erfolg und der Rest ist Geschichte.

Heute liegt Google in Sachen Web-Suche und Online-Werbung fast uneinholbar vorne. Rund 48,5 Prozent, also fast jede zweite Suchanfrage, läuft in den USA über den Eingabeschlitz von Google. Yahoo, die aktuelle Nummer zwei, kommt nur auf 22,5 Prozent. Auf den Plätzen folgen MSN (10,7 Prozent) und AOL (6,6 Prozent). Geht es um Bildersuche im Web, ist Google der Konkurrenz mit einem Marktanteil von 71,9 Prozent noch weiter voraus. Noch klarer sind die Verhältnisse in deutschen Landen: Im letzten Jahr kam Google auf 83,2 Prozent Marktanteil bei den Suchmaschinen, MSN (4,5 Prozent), Yahoo (4 Prozent) und AOL (2,5 Prozent) stellen keine ernstzunehmende Konkurrenz dar.

Wacklige Geschäftsbasis

Google erzielt 99 Prozent seiner Einnahmen durch den Verkauf von Werbung, etwa 43 Prozent davon spült mittlerweile das Adsense-Netzwerk in die Kassen. Bei diesem System vermittelt Google Werbeplätze auf den Websites Dritter und versucht dort automatisiert passende Anzeigen zum jeweiligen Thema einzublenden. Einnahmen aus Lizenzen und „sonstigen Umsätze“ machen gemeinsam ein mageres Prozent aus.

Online-Werbung erlebt zwar derzeit einen Boom wie zuletzt nur zu Zeiten der verblichenen „New Economy“, aber der Werbemarkt gilt als launisch; die einseitige Abhängigkeit von fremden Marketing-Etats ist Googles offensichtlichste Schwäche. Der Gigant steht derzeit also noch auf wackligen Beinchen.

Wie wichtig der Werbemarkt für Google ist, zeigt unter anderem die Beteiligung an AOL. Eine Milliarde Dollar legte Google für fünf Prozent des angeschlagenen Providers auf den Tisch. Google will AOL sogar ein Werbesystem maßschneidern - alles nur, um den wichtigsten Werbekunden zu binden und den Mitbewerber Microsoft auszustechen. Microsoft versucht derzeit mit aller Macht, seine Online-Werbeaktivitäten auszubauen, zum Beispiel mit seiner Plattform Microsoft Live. Der Software-Branchenriese denkt angeblich sogar über kostenlose, werbefinanzierte Software nach.

Ein weiteres Risiko: Googles einzig nennenswerte Einnahmequelle ist permanenten Attacken zwielichtiger Zeitgenossen ausgesetzt. Bei manchen Suchanfragen findet man vor lauter Spam-Seiten kaum noch ein relevantes Ergebnis. In einem Interview gab Google-Vizepräsidentin Marissa Mayer zu: „Es lässt sich enorm schwer differenzieren zwischen einem Akt der Manipulation und einem relevanten Ergebnis; etwa, wenn eine Firma ein neues Produkt mit einem Fantasie-Namen einführt.“

Zwar versuchen Googles Techniker permanent den Such-Algorithmus zu optimieren, um Linkfarmen und Keyword-Wüsten aufzuspüren und aus dem Index zu eliminieren. Auch feuert das Unternehmen gelegentlich medienwirksame Warnschüsse ab, etwa als es kürzlich die Webseiten von BMW wegen Verstoßes gegen die Suchmaschinen-Richtlinien aus der Datenbank warf.

Trotzdem bleibt es ein Hase-Igel-Spiel: Die Spammer sind meist schon da - und oft genug kleben auf den Spam-Blogs und Fake-Seiten Anzeigen aus dem eigenen Adsense-Programm. Ob sich die Inserenten über Besucher von solchen Seiten freuen, die wohl eher zufällig in die Anzeigen hineinklicken, ist fraglich.

Eine weitere Gefahr für Googles Geschäftsmodell ist Klickbetrug. In den USA zahlen Inserenten für besonders begehrte Keywords bis zu 80 Dollar je Klick. Da ist die Versuchung groß, einen Mitbewerber arm zu klicken. Andere Webseitenbetreiber treiben ihre Adsense-Einnahmen künstlich nach oben. Gerüchten zufolge soll bereits eine ganze Branche existieren, die sich durch Annoncen-Klicker in Internet-Cafés von Entwicklungsländern finanziert. Google Deutschland wiegelt ab und spricht von Nepp-Klicks im Promillebereich. Nichtsdestotrotz zahlte das Mutterhaus im März 90 Millionen Dollar, um eine Sammelklage verärgerter US-Inserenten vom Hals zu bekommen.

Jede Woche etwas Neues

Microsoft wird gerne mit einem 800-Pfund-Gorilla verglichen, der mit der rohen Gewalt seines Gewichts Produkte in den Markt drückt. Dabei agiert Google kaum zartfühlender. Letztes Jahr übernahm der Suchmaschinenbetreiber das Web-Analyse-Haus Urchin. Das Unternehmen aus San Diego bietet detaillierte Untersuchungen von Besucherströmen einer Website. Diese Dienstleistung ließ sich Urchin mit 200 Dollar monatlich vergüten - seit der Service unter Google-Flagge segelt, ist er kostenlos.

Professionelle Web-Analyse ist zugegebenermaßen ein kleiner Markt innerhalb des Internet-Business. Ob nach Googles Gratis-Offensive dort überhaupt noch Geld zu verdienen ist, muss sich noch zeigen. Eine Gnadenfrist haben Dienstleister in diesem Bereich jedenfalls: Seit unmittelbar nach der Kostenlos-Ankündigung der Interessenten-Ansturm die Server in die Knie zwang, lässt Google neue Nutzer erst mehrere Wochen warten, bevor sich die Pforten von Analytics für sie öffnen.

Bei der Suche nach neuen Betätigungsfeldern ist Google nicht wählerisch. Wo immer sich ein interessantes Arbeitsgebiet aufzutun scheint, ist das Unternehmen zur Stelle. Auch Anbieter von E-Mail-Diensten dürften sich kaum über Googles Eintritt in dieses Segment gefreut haben. Fast schon höhnisch erhöht Google ständig die Anzeige des verfügbaren Speicherplatz. Augenblicklich steht das Angebot bei 2,7 Gigabyte.

Googles Portfolio umfasst mittlerweile ein buntes Sammelsurium verschiedenster Dienste und Anwendungen. Client-Software wie der Foto-Organizer Picasa findet sich dort ebenso wie die webbasierte Textverarbeitung Writely oder der Instant Messenger Google Talk. Und alle Dienste finden immensen Zulauf. Bei mehreren Neuerscheinungen musste Google, wie bei Analytics, die Notbremse ziehen und konnte zeitweise keine neuen Nutzer mehr zulassen - der Zustrom war einfach zu groß.

Fast jede Woche erscheint ein neuer Dienst oder eine neue Software. Mittlerweile ist es nahezu unmöglich, sich im Internet zu bewegen, ohne über einen Google-Service zu stolpern. Ganz in der Tradition der Kostenlos-Kultur im Web sind fast alle Angebote gratis, finanziert aus der vom Börsengang prall gefüllten Kriegskasse und den Werbeeinnahmen. Die Refinanzierung scheint den Googlern erst einmal zweitrangig zu sein - Hauptsache, die Surfer kommen.

Wie das Feld besetzt wird, ist letztlich nebensächlich. Findet sich ein geeignetes Unternehmen wie der Blogger.com-Betreiber Pyra Labs, so wird es kurzerhand in die Firmenzentrale namens Googleplex verfrachtet. Ansonsten kann Google auf eine riesige Armada von Entwicklern zurückgreifen. Nur selten sind die selbst gestrickten Anwendungen wirklich so innovativ, wie sie in der Presse hochgejubelt werden. Das viel gelobte Google Earth zum Beispiel ist nicht mehr als ein gut gemachter Klon der NASA-Software World Wind.

Insofern ähnelt die Expansionsstrategie Googles der von Microsoft: interessante Geschäftsfelder ausmachen und an sich reißen. Allerdings legt Google viel mehr Tempo an den Tag, Microsoft hechelt hinterher. Während Microsoft abwartet, bis sich ein Markt entwickelt hat, und ihn von hinten aufrollt, scheint derzeit Googles Strategie zu sein, für alles, was sich irgendwann irgendwie vielleicht einmal zu Geld machen lässt, so schnell wie möglich ein Produkt auf den Markt zu werfen.

Quelle: c´t 10/2006

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